Eine schwere Krankheit oder ein Unfall können Menschen urplötzlich zur Aufgabe ihres Berufs zwingen. Die Ursachen haben sich in den vergangenen Jahren jedoch geändert: Waren es früher hauptsächlich körperliche Leiden, so sind es heute zunehmend psychische Erkrankungen. Grund dafür ist der Wandel der Arbeitswelt.
Die 103 jungen Menschen, die in diesem Jahr ihre Ausbildung im Bergwerk Prosper-Haniel in Bottrop aufgenommen haben, sind ein besonderer Jahrgang. Nicht wegen ihrer Kenntnisse oder Fähigkeiten. Die jungen Mitarbeiter der RAG Deutsche Steinkohle AG sind die letzten Azubis im Bergwerk. 2018 macht die Zeche dicht.
Die Geschichte steht nicht nur exemplarisch für den Strukturwandel im Ruhrgebiet. Sie beschreibt auch den Wandel der Arbeitswelt insgesamt: Mit dem Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft sind in den vergangenen Jahrzehnten bereits viele körperlich anstrengende Jobs in Fabriken, Bergwerken oder an Fließbändern weggefallen. Heutzutage arbeitet schätzungsweise knapp die Hälfte der rund 42 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland an einem Bildschirm. Und sie sind deutlich geringeren körperlichen Belastungen ausgesetzt als frühere Generationen.
Dies macht sich in einem Rückgang der körperlichen Verschleißerkrankungen bemerkbar. Während 1993 laut Gesetzlicher Rentenversicherung noch rund 81.000 Personen wegen einer Krankheit des Muskel- oder Skelettsystems eine volle oder teilweise Erwerbsminderungsrente neu zugesprochen bekamen, waren es 2013 noch knapp 24.000. Auch insgesamt gingen die Fallzahlen in dem Zeitraum zurück: von 270.000 auf rund 175.000, wobei nur gesetzlich Versicherte, nicht jedoch Selbstständige und Beamte erfasst sind.
Unterschied zwischen Berufsunfähigkeits- und Erwerbsminderungsrente
Mitverantwortlich für den Rückgang ist auch die Gesetzesreform von 2001. Damals wurden die Regeln für die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente geändert. Die Zusage hängt seitdem allein vom Leistungsvermögen des Versicherten ab, Qualifikation und Beruf spielen keine Rolle mehr. Das ist ein wesentlicher Unterschied zur privaten Berufsunfähigkeitsversicherung, bei der die Leistung davon abhängt, ob der Versicherte noch seinem zuletzt ausgeübten Beruf nachgehen kann. Die höheren Hürden für die gesetzliche Rente machen eine private Absicherung dringender denn je.Zumal die Risiken nicht verschwinden. Denn der ökonomische Wandel verursacht neue Probleme. Die moderne Arbeitswelt ist geprägt von einem Anstieg zeitlich befristeter oder projektbezogener Jobs, einer stärkeren Eigenverantwortung und Leistungsorientierung, schnelleren Arbeitsabläufen und dem massenhaften Einsatz von Kommunikationsmitteln, die ein ort- und zeitunabhängiges Erledigen von Aufgaben ermöglichen. Damit löst sich die Grenze zwischen Beruf und Privatleben mehr und mehr auf. Die Folge sind überlange Arbeitszeiten und kürzere Erholungsphasen.
Psychische Erkrankungen nehmen zu
Die psychischen Anforderungen sind somit deutlich gestiegen, und sie werden von immer mehr Menschen als belastend empfunden. Im letzten Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) von 2012, der auf der Befragung von rund 20.000 Erwerbstätigen basiert, klagte mehr als die Hälfte über starken Termin- und Leistungsdruck sowie darüber, mehrere Arbeiten gleichzeitig erledigen zu müssen. Auch Arbeitsunterbrechungen und schnelles Arbeiten zählen zu den am häufigsten genannten Stressfaktoren. Mit zunehmender Wochenarbeitszeit und Führungsverantwortung der Befragten stieg der Anteil der Betroffenen.Die Folge: Die Ausfälle wegen psychischer Erkrankungen nehmen seit Jahren zu. Burnout dient dabei häufig als Oberbegriff für Leiden wie Depressionen, depressive Verstimmungen, Angstzustände oder Suchterkrankungen. 1993 bekamen rund 41.400 Menschen eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente wegen psychischer Störungen zugesprochen, 2012 waren es knapp 75.000. Damit stieg der Anteil dieser Gruppe an allen neu erteilten Erwerbsminderungsrenten von 15,4 auf 42,7 Prozent. In der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung ist das Bild ähnlich: Laut dem Analysehaus Morgen und Morgen entfielen 2012 rund 31 Prozent der Leistungsfälle auf psychische Erkrankungen. Damit hat sich der Anteil seit 2003 fast verdoppelt.
Die Entwicklung ist nach Einschätzung des BAUA aber nicht nur Folge veränderter Belastungen am Arbeitsplatz. Der Anstieg lässt sich auch auf verbesserte Diagnosen zurückführen. Zudem hat es einen Wandel in der Gesellschaft gegeben. Psychische Probleme werden heute offener besprochen und nicht mehr tabuisiert wie in früheren Zeiten.
Die Zunahme psychischer Erkrankungen erklärt auch, warum Menschen immer früher aus gesundheitlichen Gründen ihren Beruf aufgeben oder ganz aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Während körperliche Verschleißerkrankungen typischerweise im Alter zunehmen, treten „psychische Erkrankungen häufiger auch schon in jüngeren Jahren massiv auf”, heißt es im Altersübergangs-Report vom Institut Arbeit und Qualifikation. Lag das Durchschnittsalter der Männer bei Zusage einer Erwerbsminderungsrente 1993 noch bei 53,3 Jahren, betrug es im vergangenen Jahr 51,5 Jahre – wenngleich es zuletzt wieder leicht gestiegen ist. Die Vorstellung, dass nur die Alten von Berufsunfähigkeit betroffen sind, trifft jedenfalls nicht mehr zu.
Die Themenwoche zur Berufsunfähigkeit auf GDV.DE:
>> Montag, 29.9.: Berufsunfähigkeit – hohes Risiko mit gravierenden finanziellen Folgen>> Dienstag, 30.9.: Berufsunfähigkeit im Wandel
>> Mittwoch, 1.10.: Interview – „Versicherungsunternehmen wollen leisten!”
>> Donnerstag, 2.10.: Vorsorge ist der beste Schutz
>> Verbraucherservice: Wissenswertes zur Berufsunfähigkeitsversicherung |